Auszüge einer Kindheit – Kinder verzeihen, aber sie vergessen nicht.
Obwohl ich mittlerweile erwachsen bin, habe ich diese Tage meiner frühen Kindheit noch gut vor Augen… Und es prägt bis ins erwachsene Alter
An einem Abend schlug mein Vater mal wieder meine Mutter. Betrunken, wie er oft war, steigerte er sich in irgendeine Sache hinein, für die natürlich meine Mutter verantwortlich war. Doch an diesem Abend war etwas anders. Es blieb nicht wie sonst bei bloßen Schlägen. Mein Vater schrie meine Mutter an, schlug sie heftig und schmiss sie schließlich auf das Bett in meinem Kinderzimmer, um sie zu würgen. Geistesabwesend sprang ich meinem Vater auf den Rücken und rief: „Lass Mama los“. Er hatte sich wohl so erschrocken, dass ihm bewusst wurde was er gerade tat. Er ließ dann – Gott sei Dank – von meiner Mutter ab. Ich war zu dieser Zeit 4 Jahre alt. Damals trennte sich meine Mutter – ging aber wenig später zu ihm zurück. Aus Liebe und um mir nicht den Vater zu nehmen.
An einem anderen Tag fing mein Vater plötzlich an meine Mutter anzuschreien. Ohne ersichtlichen Grund. Er beschimpfte sie aufs Übelste, unterstellte ihr schlimme Dinge. Beschimpfte sie als Hure. Ich wusste nicht ganz genau, was dieses Wort bedeutete, aber ich wusste, dass meine Mama nichts getan hatte. Mein Vater wurde immer wütender, schrie weiter. Meiner Mutter wusste selbst nicht, was sie tun sollte. Er ließ sich auch nicht beruhigen, wie eigentlich üblich. Er hörte nicht auf zu schreien und meine Mutter zu beschimpfen…
Meine Mutter blieb ruhig und versuchte mich zu beruhigen, da ich bereits leise wimmerte. Meine Mama trug zu diesem Zeitpunkt meinen kleinen Bruder im Bauch. Als sie merkte, dass mein Vater sich nicht beruhigen lies, wollte sie aus dem Zimmer gehen. Mein Vater ging in die Küche und holte ein langes Messer. Meine Mutter ergriff mich instinktiv und rannte mit mir zur Haustüre heraus. Da wir damals einen Bauernhof, ziemlich weit vom Schuss hatten, war alles sehr dunkel und unbeleuchtet. Meine Mutter schlich mit mir ins Maisfeld, welches fast direkt an unserem Hof lag. Wir versteckten uns. Im Winter. In einem Maisfeld. Ohne Schuhe. Meine Mutter war hochschwanger. Damals war ich 6 Jahre alt. Diesen Tag werde ich nie vergessen. Noch heute höre ich in meinen Träumen meinen Vater der an der Türe steht und schreit: „Ich bring dich um“. Damals trennte sich meine Mutter – ging aber wenig später zu ihm zurück. Aus Liebe und um mir nicht den Vater zu nehmen.
Ich verstand als Kind nicht, wieso meine Mutter sich das alles gefallen ließ. Mir blieb jedoch nichts anderes übrig, als es einfach zu akzeptieren. Ich hasste, was mein Vater mit meiner Mutter machte, jedoch nahm ich ihn immer wieder als Vater an. Ich versuchte, glücklich in meiner Familie zu sein. Mein Vater hatte auch gute Seiten, glaube ich.
Einmal versprach mein Vater mir, mit uns auf ein Volksfest zu gehen und dort mit mir Karussell zu fahren. Ich habe mich, wie jedes Kind, sehr darauf gefreut. Das Fest war in einer anderen Stadt und wir mussten über eine Stunde fahren. An diesem Abend fuhren wir erst spät zum Volksfest, sodass jedes Fahrgeschäft geschlossen hatte als wir ankamen. Lediglich die Zelte mit der lauten Musik und den Getränken hatten noch geöffnet. Mein Vater entschuldigte sich kurz bei mir, dann schleppte er meine Mutter, mich und meinen kleinen Bruder (erst ein paar Monate alt) widerwillig in das Zelt. Seine Freunde warteten schon und begrüßten ihn mit einem Bier. Meine Mutter versuchte meinen Bruder zu beruhigen, der wegen der lauten Musik weinte. Sie hatte keinen Führerschein, deshalb konnte sie nichts unternehmen. Mein Vater wurde aggressiv wenn sie ihn fragte, ob wir gehen könnten. Sie blieb ruhig. Mein Vater trank an dem Abend so viel, dass er wild mit vielen fremden Frauen tanzte. Meine Mutter dachte sich, wenn er in diesem Zustand Auto fahren würde, würde er uns alle umbringen. In einem Moment wo er nicht hinsah, nahm sie seine Autoschlüssel aus seiner hinteren Hosentasche. Als sie sicher war, dass er nichts merkte, nahm sie mich an die Hand, packte sich den Kinderwagen und rannte mit uns aus dem Zelt. Wir rannten so schnell wir konnten vom Fest-Gelände. Es war sehr dunkel. Immer wieder drehte meine Mutter sich um und schaute, ob Vater uns folgte. Am Auto angekommen, legte sie meinen Bruder in die Kinderschale und schnallte ihn an, mich schnallte sie auch an. Plötzlich rannten mein Vater und seine Freunde auf den Parkplatz. Meine Mutter sagte mir hektisch: „Mach hinten alle Knöpfe runter Schatz.“ Schnell verriegelte ich das Auto von innen. Mein Vater schlug gegen das Fenster und schrie mich an, ich solle aufmachen. Meine Mutter, die keinen Führerschein hatte, fuhr los. Sie erlärte mir, dass ich keine Angst haben muss… Sie könne fahren, das habe Opa ihr beigebracht. Sie müsse jetzt fahren, sagte sie mir, sonst baue Papa einen Unfall. Ich verstand sie und machte mir auch keine Sorgen, denn sie fuhr sehr sicher und ihre Stimme beruhigte mich. Wir fuhren ein Stück, aber meine Mutter hatte den Weg zur Autobahn nicht gefunden. Sie hielt an einem Restaurant und rief meinen Onkel an, sie bat ihn uns abzuholen, da sie nicht weiter wusste. Er kam und brachte meinen Vater mit, der ihn mittlerweile schon verständigt hatte. Ich werde meinem Onkel nie verzeihen, dass er meinen Vater mitbrachte. Mein Vater zog meine Mutter aus dem Auto und schlug auf sie ein. Ich habe in meinem Leben, bis dahin, noch nie soviel Blut gesehen. Er hörte nicht auf. Keiner half. Mein Onkel (der Bruder von meinem Vater) schaute nur zu. Ich schrie: „Lass Mama los“. Er ließ auch von ihr ab… Sie setzte sich hinten ins Auto, neben meinen kleinen Bruder und hielt sich sein Kuscheltuch vor ihr Gesicht. Mein Vater hatte sie so heftig geschlagen, dass er ihr das Lippenbändchen durchtrennte. Mein Onkel fuhr uns nach Hause. Noch in der gleichen Nacht kam mein Vater zu uns ins Zimmer und flehte meine Mutter weinend an, ihm zu verzeihen. Sie verzieh ihm. Ich nicht.
Wir müssen die Kinder schützen. Kinder verzeihen schnell, aber sie werden nicht vergessen. Selbst wenn sie von der Gewalt nicht selbst getroffen werden, sind sie dennoch betroffen. Schützt euch und schützt eure Kinder!
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Ich bekomme immer Bauchschmerzen wenn ich erstens einseitig von männlicher häuslicher Gewalt lese oder höre und zweitens die Frauen als arme Opfer da stehen. Auch Frauen sind genauso gewalttätig. Die Dukelziffer ist hier aus Scham sehr groß! Gewalt ist immer schlimm und zu verurteilen, egal von wem sie ausgeht!. Mir fehlt dennoch zu oft die Diskussion wie Gewalt entsteht und wer oder was sie möglicht macht. Auch die, die Gewalt nicht verhindern machen sich schuldig! Gewalt ist eine Dynamik zwischen den Leuten, diese kann und muß durchbrochen werden. Wer es nicht allein schafft, muß sich Hilfe suchen. Auch die Mutter der Autorin hat sich schuldig gemacht. Sie hat ihre eigene Verantwortung in diesem Geschehen nicht gesehen, gar verleugnet. Hat sich und ihre Kinder verraten. Das wird nicht gesehen…… Schade….
Hallo,
danke für deinen Kommentar. Du magst Recht haben, auch Männer sind von häuslicher Gewalt betroffen. Wenn sich ein Mann meldet, werden wir auch gerne darüber berichten und aufklären. Jedoch können wir natürlich nur über die Geschichten berichten, die an uns heran getragen werden. Hier erzählt z.B. das Kind aus seiner Sicht, was passiert ist. Ob die Mutter ihre Schuld eingesehen hat, geht aus dieser Geschichte nicht hervor. Deshalb sollten wir niemanden vorschnell verurteilen. Du hat aber natürlich vollkommen Recht wenn du sagst, dass diese Opfer sich in jedem Fall Hilfe suchen sollten/müssen. Gruß, Redaktion