Sind wir bereit für Feminismus?

Diese Frage haben wir uns gestellt und zu dem Thema eine sehr interessante, selbstbewusste Frau befragt. Dr. phil. Milena Rampoldi ist Menschenrechtlerin, freie Schriftstellerin und Übersetzerin. Sie macht sich für die Rechte der Frauen stark, kämpft gegen Unterdrückung und für Gleichberechtigung. Was Feminismus bedeutet und wie es um die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft steht erklärt Dr.phil. Milena Rampoldi uns im Gespräch.


 

Frau Rampoldi, sind Sie eine Feministin?

Ich finde, dass man als Frau keine andere Wahl hat, als Feministin zu sein. Wie dann der eigene Feminismus aussieht, hängt sehr stark von der eigenen Lebensgestaltung, Erfahrung, Kultur, Ethik und Religion ab. Als Muslimin mache ich mich natürlich für den islamischen Feminismus stark, um gegen die Unterdrückung der Frauen in der muslimischen Welt zu kämpfen und den Islam als Befreiung der Frau den Männern als Spiegel vorzuhalten.

Was bedeutet für Sie Feminismus?

Feminismus bedeutet für mich Diversität, Erziehung, Komplementarität und Selbstbewusstsein. Eines der Hauptziele des Feminismus besteht ohne Zweifel darin, die Frau zu stärken, sie psychologisch und emotional unabhängig zu machen, damit sie dann ihre Identität und ihr Selbstbewusstsein in die sozio-politische Gestaltung der Gesellschaft investieren kann. Denn ohne die Kooperation der Frau kann es keine Entwicklung der Familie und somit auch nicht der Gesellschaft und Politik geben. Ohne eine starke Frau gibt es auch keinen Frieden und keine Durchsetzung der Menschenrechte. Für mich bedeutet Feminismus die Anerkennung der Stärke der Frau und die Erziehung jeder Frau zu dieser Stärke und weiblichen Identität, ganz nach Simon de Beauvoir, die so schön sagte: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird dazu gemacht.“ Der Feminismus muss aber von der Frau, von ihrer Kultur und von ihrem religiösen und sozialen Umfeld kommen und darf nicht fremdgesteuert oder importiert sein. Der Feminismus ist eine Bewegung, die von Innen kommt. Somit gibt es für mich nur einen Feminismus im Plural, da der Feminismus eine Welt der kulturellen, ethnischen und religiösen Diversität ist.

Was hat sie dazu bewegt, sich für Frauen stark zu machen?

Die Unterdrückung der Frau durch sich selbst und durch die Männer ist in der Welt, unabhängig von Kultur und Religion, Herkunft und Ethnie, so allgegenwärtig, dass es einer starken Bewegung bedarf, um die Frau zu ihrer würdevollen Weiblichkeit zu führen. Die Weiblichkeit ist für mich in diesem Zusammenhang gleichzeitig der Weg und das Ziel. Als Menschenrechtlerin setze ich mich intensiv mit den so vielfältigen Verletzungen der Frauenrechte weltweit auseinander. Ob es nun um die Sklaverei in Mauretanien, das Loverboy-Phänomen in Holland, die Zwangsheirat, die häusliche Gewalt, die Vergewaltigung, das Brustgbügeln in Kamerun, die Genitalverstümmelung der Frau in Afrika, den Frauenhandel, die Segregation oder die Zwangsprostitution geht: Frauen werden psychisch, physisch und emotional unterdrückt und vor allem manipuliert. Diesen Frauen, die ihrer Würde, Identität und Persönlichkeit beraubt werden, die manipuliert, verdrängt und unsichtbar und stimmlos gemacht werden, müssen wir Frauenrechtlerinnen eine Stimme verleihen. In der muslimischen Welt wie im Westen werden Frauen auf verschiedenste Arten und Weisen unterdrückt. Frauen werden nicht ernst genommen. Somit sind feministische Erziehung und weibliche Bewusstseinsbildung durch Kunst, Literatur, Soziologie, Politik, Religion und Musik der Weg, um Frauen in ihrer Diversität zu einer starken Identität zu verhelfen. Empowerment ist hier eines der Zauberworte. Aber nach diesem Empowerment folgt für mich nicht die Loslösung von der männlichen Hälfte der Gesellschaft, sondern die Kooperation als starke Frauen zwecks Aufbaus einer gerechten und vor allem friedlichen Gesellschaft.

Waren Sie schon immer eine starke Frau? Sind Sie so erzogen worden?

Ich wurde katholisch erzogen und entdeckte den Feminismus erst an der Universität. Habe lange nach dem wahren Feminismus gesucht und ihn dann durch meine akademische Arbeit und mein Engagement für die Menschenrechte gefunden. Selbstbewusstsein und weibliche Identität sind aufgrund meiner Lebenserfahrung die Zauberworte, die den Weg der Frau zum wahren, inneren Feminismus führen. Feminismus ist rational, emotional und geistig in Einem.

Sind Sie verheiratet? Wer hat zuhause die Hosen an?

Ich bin seit fast neun Jahren glücklich verheiratet und habe drei Kinder. Für mich basiert die Ehe im Islam auf der Kooperation, Liebe und Komplementarität. Daher finden sich neben den Hosen und Röcken auch Hosenröcke in meinem Schrank. Diese Diversität steht für eine Ehe, die auf Beratung und Kommunikation basiert. Da aber die Demokratie die Diktatur der Mehrheit ist und zwei keine ungerade Zahl ist, muss darüber beraten werden, wer welche Entscheidung treffen darf. Wie Bilqis, die Königin von Saba im Koran so schön sagt: „O ihr Vornehmen, ratet mir in dieser Sache. Ich entscheide keine Angelegenheit, solange ihr nicht zugegen seid.“ Und auf diese Weise kristallisieren sich Schritt für Schritt im Dialog die Bereiche heraus, in denen Mann und Frau entscheiden. Die Entscheidung ist aber nie der Ausdruck einer Macht über den Anderen, sondern die Folge ethischen und verantwortlichen Handelns.

Gibt es falschen Feminismus und wenn ja, was ist für Sie falscher Feminismus?

Der falsche Feminismus existiert auf jeden Fall. Er ist für mich der aufgedrängte, imitierte Feminismus, der nicht von Innen kommt und die Kultur und Religion der Frau respektiert, sondern importiert oder gewaltsam von Außen aufgedrängt wird. Ein Beispiel ist für mich die provokatorische Art, mit der die Aktivistinnen von FEMEN mit ihren nackten Oberkörpern für die muslimischen Frauen demonstrieren und sie praktisch retten wollen, indem sie sie vollkommen auslöschen. Ich finde die arabischen und persischen Frauen von FEMEN manipuliert von einem Feminismus, der nicht der ihre sein kann.

Sind Männer und Frauen in Deutschland Ihrer Meinung nach gleichberechtigt?

Ich finde, dass die Geschlechter in Deutschland zu sehr nivelliert sind und dass die Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu wenig betont werden. So kann auch keine wahre Gleichberechtigung entstehen. Mir scheint es manchmal, als wäre die Frau zu sehr auf eine dünne, blonde Puppe reduziert, die am Ende am besten nichts sagen sollte. Die Weiblichkeit wird des Öfteren auf das Objekt der männlichen Vorstellungen reduziert. Ich finde, die deutsche Frau sollte ihre Diversität gegenüber dem Mann mehr betonen und so auch ihre Schwächen. Denn die Anerkennung der eigenen Grenzen beweist für mich Stärke. Dem männlichen Ideal entsprechen zu wollen führt nicht zu denselben Rechten, sondern eher zur Nivellierung der Geschlechter und zur Gleichberechtigung auf dem Papier. Vielleicht sollte es in Deutschland auch mehr Debatten zum Thema des Feminismus im Plural geben, um auch verschieden Formen und Traditionen des Feminismus aus anderen Kulturkreisen, Religionen und Ethnien zur Sprache kommen zu lassen.

Zum Thema Frauen in der Geschichte. Haben Sie Vorbilder?

Die sozio-politische Geschichte der Frauen ist noch nicht geschrieben. Was mich seit einigen Jahren fasziniert, sind die weiblichen Herrscherinnen der muslimischen Geschichte. Ich versuche die Frauen in ihre Biografie, in ihrem Charakter und in ihren ethischen Werten zu erfassen, um Modelle zu erstellen, die uns heute als Frauen dabei unterstützen können, unser Selbstbewusstsein aufzubauen, vor allem wenn es um das sozio-politische Handeln und die Menschenrechtsarbeit geht. Besondere Vorbilder habe ich nicht. Was mich bei diesen Frauen aus der Vergangenheit inspiriert, sind ihre Werte, ihre Haltungen, ihre Bereitschaft, sich für die Unterdrückten und den Frieden einzusetzen. Ein anderes Element ist natürlich ihr Kampfgeist und die damit verbundene Fähigkeit, auch mal würdevoll verlieren zu können.

Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrer Arbeit? Was haben Sie bisher erreichen können?

Das Ziel, das ich mit meinen Büchern und Artikeln verfolge, besteht in der Förderung des Dialogs zwischen Kulturen und Religionen zwecks Aufbaus einer gerechteren und besseren Welt. Das klingt nach einer Utopie, aber ich finde, dass man ohne diesen Traum den Sinn des Lebens verlieren würde. Ohne vom Frieden zu träumen, würde es den Frieden gar nicht geben. Dasselbe gilt für die Schönheit und die Gerechtigkeit. Für mich hängen Frieden, Gerechtigkeit und Schönheit eng zusammen. Im Islam heißt es, dass Allah schön ist und die Schönheit liebt. Und diese Schönheit sehe ich, wenn ich mich für die unterdrückten Frauen dieser Welt einsetze am meisten, da ich auch fest davon überzeugt bin, dass Frieden und Gerechtigkeit ohne den sozio-politischen Kampf der Frau undenkbar wären.

Ihr größter Wunsch für die Zukunft?

Mein Traum ist eine bessere Welt für meine Kinder. Was mich im Moment sehr beschäftigt, ist die exponentielle Zunahme von blinder Gewalt weltweit. Ich denke hier im Besonderen an den Nahen Osten. Ich glaube an den Aufbau des Friedens und der Gerechtigkeit von Unten, an die kleinen Veränderungen durch die kleinen Leute, die diese Werte leben und weitergeben. Und hier kommen wir zum Feminismus zurück. Frauen geben die Werte der Schönheit, Gerechtigkeit und des Friedens weiter. Starke Frauen machen ganze Gesellschaften stark und verändern so Schritt für Schritt die Welt.


Wir danken Dr. Phil. Milena Rampoldi von promosaik für das nette Interview und den tollen Kontakt!Milena-Rampoldi-in-sede-Promosaik

 

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